"böschung_02" betitelt Hannah Stippl
lapidar ihre neue, in den letzten Monaten entstandene Werkserie, die sie in
Acryl- und Gouachetechnik auf Leinwand ausgeführt hat. Wie in vielen Arbeiten
seit 1998 findet sich auch hier die Einbindung von Gummiwalzen, mit denen auf
Wänden ein Quasitapetenmuster imaginiert wurde. Diese triviale und banale
Ausmalweise von Wohnräumen bildet den ordnenden und strukturalen Fokus
ihrer künstlerischen Strategie, aus dem heraus sich über die Verfahrensweise
von Chaos und Zufall Farbschichten entfalten, die auf faszinierende Weise zwischen
Bild und Ornament oszillieren.
In vielfachen Überlagerungen wird dabei nicht nur eine auf Basis von Malschichtungen
erzeugte Raumtiefe der Bilder suggeriert, sondern auf Grund der Gummiwalzenmuster
auch eine florale Archäologie des Ornamentalen. Auf den ersten Blick werden
chaotische, im Spannungsfeld von Zufall und Ordnung generierte Farbmuster sichtbar,
die bei intensiverer Betrachtung eine komplexe botanisch-florale Zeichenwelt
ergeben und einen großen kunsthistorischen Bogen von den Herbarien des
Mittelalters bis hin zu den botanischen Konstruktionen eines Karl Bloßfeldt
im 20. Jahrhundert schlagen. Bezeichnend auch, wie sehr in der aktuellen Gegenwartskunst
Florales thematisiert wird. Die floralen Walzenmuster verdichten sich im Wechselspiel
von Konkret und Abstrakt in ihren Überlagerungen zu floralen Landschaften
und vice versa. Aus der chaotischen Auflösung und der zufälligen Figuration
resultieren die kompositorischen Ordnungen der Werke, die einen stark meditativen
Charakter implizieren.
Formal wird dabei eine künstlerische Haltung sichtbar, die nicht nur den
Begriff von Schönheit provokativ demonstriert, sondern auch das Moment
des Transgressiven als Erkenntnisprinzip situiert: Vom Trivialen zum Künstlerischen,
vom Ornament zum Bild, vom Zeichnerischen zum Malerischen, vom Motiv zum Raum
erarbeitet Hannah Stippl eine Bildkomposition, die wesentlich durch die Verfahrensweise
der Serialität ihren avancierten Charakter zum Vorschein bringt.
Martin Heideggers Überlegungen über das Zeitalter des Weltbildes definieren
dieses nicht als ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild. Im Hinblick
auf die inhaltliche Thematik von Natur und Kunst geht es nicht mehr um die Natur
als Absolutes der Kunst, als Ort des Unendlichen im Sinne der Romantik, sondern
um Wahrnehmbarkeit von Natur kraft des künstlerischen Bilddiskurses. Natur
als Weltbild ist seit dem Impressionismus kein Kant’sches Apriori mehr,
sondern piktorale Konstruktion von mentalem, imaginativem und materialem, also
realen Bild.
Natürliches und Künstliches werden mittels der Struktur des Ornamentalen
zu Metaphern von Natur und gleichzeitig Kunst, womit auch im sogenannten Inhaltlichen
die Verschränkung transgressiver Aspekte des Aridanefaden im Labyrinth
der Bilderwelt der Künstlerin signalisieren. Kunst ist nicht nur ein Ort
der Repräsentation von Natur, vielmehr geht es um Einsichten in die Vernetzungen
von Bild und Natur, von Bild als Natur und von Bild als reflektierter Natur.
Gerade im Hinblick auf die gen- und biotechnologischen Entwicklungen muss von
einer kopernikanischen Wende im Verhältnis von Natur und Kultur gesprochen
werden. Natur als Konstruktion von Kulturtechniken ist modulare und molekulare
Fabrikation geworden, die in der ornamentalen Musterung ihr ästhetisches
Echo findet.
Hannah Stippl verwebt formale Notwendigkeiten der Bildkomposition mit thematischen
Frage- und Problemstellungen essentieller gegenwärtiger Transformationen
von Naturbegrifflichkeit in stringenter Weise und eröffnet dadurch wieder
den Blick auf das Paradiesische der Natur als Ort der Unvergänglichkeit.
Sigmund Freud hat den Traum als bildnerische Verfahrensweise des Unbewussten
auch als Ort der Zeitlosigkeit definiert – die neueren Bilder der Künstlerin
sind materialisierte Blickmöglichkeiten auf diese Orte, die wir zunehmend
glauben, nicht mehr über das Imaginieren, sondern über das gentechnisch
Präparierte gewinnen zu können.